Fachtag Gewalt statt Liebe 2024

Datum/Zeit
Date(s) - 20.02.2024 - 21.02.2024
Ganztägig

Veranstaltungsort
Kreismusikschule Mansfeld-Südharz

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Fachtag Gewalt statt Liebe 2024

Fachtag Gewalt statt Liebe 2024-Bild mit Kind
Bild von lisa runnels auf Pixabay

Fachtag Gewalt statt Liebe 2024

Was empfiehlt die Istanbul-Konvention zu Auswirkungen häuslicher Gewalt bei Kindern und Jugendlichen und Menschen mit Beeinträchtigungen?

 

Fachtagung vom 20. bis 21.02.2024 in der Kreismusikschule Mansfeld-Südharz

Ater Markt 34, 06526 Sangerhausen

Inhaltsverzeichnis Fachtagung

Häusliche Gewalt, Partnerschaftsgewalt oder innerfamiliäre Gewalt ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Seit Jahren verzeichnet die Polizeiliche Kriminalstatistik einen Anstieg von Gewalt in Partnerschaften, für 2022 um 8,5% und mit 240.547 Opfern einen dramatischen Höchststand. Dabei wird das Dunkelfeld noch wesentlich höher eingeschätzt. In über 50% der polizeibekannt gewordenen Fälle haben Kinder die Gewalt zu Hause (mit)erlebt und wurden unmittelbar oder mittelbar zu Opfern.

Bereits das Miterleben von Partnerschaftsgewalt stellt eine potentielle Kindeswohlgefährdung dar und hat Folgen für die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Sie leiden unter Schuld- und Schamgefühlen, dem Loyalitätskonflikt gegenüber beiden Elternteilen, einem Geheimnisdruck u.v.m. Etwa 35% der Betroffenen reagieren mit klinisch relevanten psychischen Proble­men oder Auffälligkeiten wie Ängsten, Alpträumen und Schlafstörungen, Konzentrationsproblemen, verzögerter Sprachentwicklung, Essstörungen, Überanpassung, Auto- und Fremdaggressionen, posttraumatischen Belastungsstörungen u.a. Auch psychische Gewalt in Form von Drohungen, Kontrolle und einem andauernden Klima der Angst führt zu Belastungen bei Kindern und Jugendlichen. Häusliche Gewalt kann zu einer elterlichen Erziehungsüberforderung bis hin zu Kindesvernachlässigung führen. Zudem sind Kinder und Jugendliche in einem gewaltbelasteten Familiensystem oft auch einem höheren Risiko ausgesetzt, selbst Opfer von Gewalt zu werden oder Gewalt auszuüben – auch in späteren Beziehungen.

Fachtag Gewalt statt Liebe 2024 – die Istanbul-Konvention

Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, die Istanbul-Konvention, ist auch ein Schutzinstrument zur Gewährleistung der Rechte von Kindern als (Mit)Betroffene von häuslicher Gewalt und verpflichtet die Vertragsstaaten u.a. zu Schutz und Unterstützung für Zeuginnen und Zeugen, die Kinder sind. In Deutschland trat die Ratifizierung der Istanbul-Konvention 2018 in Kraft. Doch ist das Schutz- und Unterstützungssystem insbesondere für von häuslicher Gewalt (mit)betroffene Kinder und Jugendliche immer noch sehr lückenhaft und die Unsicherheit, wie man Betroffene erkennen und unterstützen kann auch bei pädagogischen und sozialen Fachkräften groß. Gerade sie haben aufgrund ihrer Tätigkeit oft großes Potential, Vertrauens- und Unterstützungspersonen für betroffene Kinder und Jugendliche sein zu können und so die Auswirkungen häuslicher Gewalt abzumildern oder sogar einen Ausweg aus der familiären Gewalt aufzuzeigen und zu vermitteln.

Quelle: Deutsches Institut für Menschenrechte

In Kooperation mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt e.V. veranstalten das Trägerwerk Soziale Dienste in Sachsen-Anhalt, das Trägerwerk Soziale Dienste in Berlin und Brandenburg, das Trägerwerk Soziale Dienste in Thüringen und die Akademie Rosenhof e.V. vom 20.-21.02.24 in Sangerhausen eine Fachtagung, die pädagogischen und sozialen Fachkräften sowie anderen Interessierten Vorträge und Workshops von Expertinnen und Experten bietet. Dabei sollen die Auswirkungen des (Mit)Erlebens von häuslicher Gewalt für Kinder und Jugendliche vorgestellt und Fragen geklärt werden, wie man Betroffene erkennt und bei Verdachtsfällen Gespräche führt. Dabei werden auch sexualisierte Gewalt im familiären Kontext oder psychische Gewalt berücksichtigt, wie sie u.a. Kinder von verschwörungsgläubigen Eltern z.B. aus der Reichsbürgerszene erfahren. Die Interventionskette und Unterstützungsangebote in Sachsen-Anhalt werden vorgestellt und insbesondere die Arbeit mit gewaltausübenden Personen erläutert. Hierbei finden auch Unterstützungsmöglichkeiten bei kognitiven Einschränkungen und die Bedeutung von unterschiedlichen Familienformen und Lebenswelten für den Kinderschutz Beachtung. Auch die Prävention häuslicher Gewalt stellt einen Schwerpunkt der Fachtagung dar: Praktizierte Präventionsprojekte für Kindertagesstätten, Grundschulen und Teenager, die selbst erste Beziehungserfahrungen machen, werden vorgestellt und die Erfahrungen den Teilnehmenden nahegebracht. Als Rahmenprogramm wird die Ausstellung „Zerrissen – Kinder als Opfer häuslicher Gewalt“ des Landeskriminalamtes Sachsen-Anhalt während der Fachtagung präsentiert.

Das Programm zum Fachtag Gewalt statt Liebe 2024

Flyer und Programm Fachtag  20.-21.2.24 als Download

Inhalt Programmpunkte als Download

 

Dienstag, 20.02.2024

09.30 Uhr Begrüßung

10.00 Uhr Einführungsvortrag: „Einführung in die Istanbul-Konvention“ – Referent: Roland Hertel

„(…) mit großer Sorge feststellend, dass Frauen und Mädchen häufig schweren Formen von Gewalt wie häuslicher Gewalt, sexueller Belästigung, Vergewaltigung, Zwangsverheiratung, Genitalverstümmelung ausgesetzt sind, die eine schwere Verletzung der Menschenrechte von Frauen und Mädchen sowie ein Haupthindernis für das Erreichen der Gleichstellung von Frauen und Männern darstellen (…) *Präambel der Istanbul-Konvention

Mit dem Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt, kurz Istanbul-Konvention, hat der Europarat das stärkste frauenpolitische Instrument geschaffen, das es aktuell in Europa gibt. Die Konvention überzeugt zum einen durch die Festlegung eines umfassenden Ansatzes zur Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt. Zum anderen benennen die Verfasser:innen geschlechtsspezifische Gewalt als eine Menschenrechtsverletzung. Sie sehen ihre Ursache in ungleichen gesellschaftlichen Machtverhältnissen zwischen Frauen und Männern. Das, als auch ihre Verbindlichkeit, macht die Konvention zu einem starken Handlungsinstrument gegenüber politischen Verantwortungsträger:innen. Die Istanbul-Konvention ist ein völkerrechtliches Abkommen des Europarats, das 2014 in Kraft getreten ist. Im Konventionstext wird anerkannt, dass Gewalt gegen Frauen eine Menschenrechtsverletzung ist. Diese Gewalt beruhe auf ungleichen gesellschaftlichen Machtverhältnissen zwischen Frauen und Männern. Gewalt gegen Frauen wird folglich als strukturelles Problem anerkannt. Die Konvention verpflichtet die Vertragsstaaten zur umfassenden Bekämpfung und Verhütung von Gewalt. Der vollständige Titel lautet Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt.

*Quelle – Webseite von Medica Mondiale – https://medicamondiale.org/gewalt-gegen-frauen/ursachen-und-folgen/istanbul-konvention

Deutschland hat die Istanbul-Konvention im Jahr 2023 komplett ratifziert. Was bedeutet dies für den Bund, die Länder und Kommunen. Damit beschäftigt sich der Vortrag zum Thema.

Roland Hertel ist Dipl.-Sozialarbeiter (FH), staatlich anerkannter Jugend- und Heimerzieher, Vorstandsvorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt (BAG TÄHG e.V.) bis November 2023. Für Jahrzehnte war er Mitglied in der Bund-Länder-AG „Häusliche Gewalt“ und entwickelte den Standard zur Arbeit mit Tätern häuslicher Gewalt mit. Er ist Leiter des Bereiches Öffentlichkeitsarbeit und Fortbildung im Interventionszentrum gegen häusliche Gewalt Südpfalz sowie Beiratsmitglied im bundesweiten Hilfetelefon – Schutz und Hilfe bei häuslicher Gewalt. Bis Dezember 2023 war er Mitglied des Kuratoriums „Stiftung Rheinland-Pfalz“ für Opferschutz. Seit April 2023 arbeitet er im „Elterntraining bei Kindesmisshandlung“.

10.15 Uhr 1. Fachvortrag Thema: „Kinder als Betroffene von häuslicher Gewalt“ – Referent: Rainer Becker

Nach einer Einführung, in der Gewalt gegen Kinder in Zahlen dargestellt wird, geht Rainer Becker gezielt auf die Problematik von Kindern als Betroffene von häuslicher Gewalt ein.

Häusliche Gewalt tötet. Häusliche Gewalt verletzt, sie fügt Schmerzen zu, sie macht Angst, sie unterwirft ̶ sowohl Erwachsene als auch betroffene Kinder. Dabei macht selbstverständlich auch das Miterleben von Gewalt etwas mit denen, die sie miterleben müssen, und gerade mit den Kindern und Jugendlichen im belasteten Haushalt.

Sie erleiden Angststörungen, sie empfinden Schuld, weil sie nicht hatten helfen können, sie nehmen Partei, ohne es zeigen zu dürfen, sie identifizieren sich mit dem schlagenden Elternteil, um zu „überleben“, sie sind ständig unter Stress, was sich auf ihre intellektuelle Entwicklung auswirkt, ihre schulischen Leistungen werden schlechter, sie werden depressiv, neigen eher zu Alkohol- und Substanzmittelmissbrauch, sie sind suizidgefährdeter als andere Kinder und Jugendliche, und sie lernen vom schlagenden Elternteil, dass sich derjenige, der schlägt, durchsetzt.

Häusliche Gewalt ist Kindeswohlgefährdung, alleine, weil sie mindestens die Autorität des geschlagenen Elternteils unterläuft und so zu einer Entfremdung beiträgt.

Trotzdem gibt es Jugendämter und Familiengerichte, die glauben, dass häusliche Gewalt nichts mit Kindern macht, wenn „nur“ der andere Elternteil geschlagen wurde.

Und nicht selten werden Umgänge mit dem schlagenden Elternteil verlangt, bevor die strafrechtlichen Ermittlungen in dem Fall bereits abgeschlossen sind.

Deswegen ist der Umgang mit dem Umgang nach häuslicher Gewalt ein äußerst belastetes Feld.

Offenbar deutlich häufiger als bislang angenommen, wird Elternteilen, die häusliche Gewalt angezeigt haben und die Bedenken gegen Umgänge mit einem gewalttätigen Elternteil haben, eine so genannte Bindungsintoleranz oder Eltern-Kind-Entfremdung pp. unterstellt und deswegen ihre Erziehungsunfähigkeit angezweifelt.

Im schlimmsten Fall droht ihnen sogar der Verlust der elterlichen Sorge.

Dies verstößt gegen die Istanbul-Konvention und wird dennoch oftmals ignoriert.

Es hat vorrangig um das Wohl und die Sicherheit der betroffenen Kinder und Jugendlichen zu gehen und nicht um die Rechte ihrer Eltern an ihnen.

Rainer Becker ist Polizeidirektor a. D und ehemaliger Dozent/ Fachbereichsleiter der Verwaltungsfachhochschule des Landes Mecklenburg-Vorpommern. In der Lehre waren das Recht der Gefahrenabwehr und Eingriffsrecht seine Spezialgebiete. Von 2013 bis 2020 war er Vorstandvorsitzender, seither ist er Ehrenvorsitzender der Deutschen Kinderhilfe – Die ständige Kindervertretung e. V und geschäftsführender Vorstandsvorsitzender.

11.15 Uhr Diskussion zum Fachvortrag 1

11.45 Uhr Pause

12.00 Uhr 2. Fachvortrag Thema: „Sexualisierte Gewalt in der Familie“ – Referentin: Tamara Luding

Seit dem Jahr 1992 gilt die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen (VN) in Deutschland. Dennoch sind die Kinderrechte bisher nicht im Grundgesetz aufgenommen worden.

Damit obliegt zwar die Familie dem besonderen Schutz, die Rechte von Kindern sind aber nicht im Grundgesetz verankert.

Die Haltung der Gesellschaft ist damit klar: Die Familie ist ein besonders schützenswertes Konstrukt. Die Rechte von Kindern müssen „anders“ geklärt werden.

Bis vor nicht allzu langer Zeit galt auch in der Pädagogik der Grundsatz, dass es immer ein Ziel sein sollte, dass Kinder in ihrer Herkunftsfamilie aufwachsen (können). Bis heute ist ein großer Teil unserer pädagogischen Arbeit darauf aufgebaut.

Gesellschaftlich gesehen hat die Familie also einen sehr hohen Stellenwert. In der Bundeszentrale für politische Bildung erschien 2008 ein Artikel zum Thema „Familie: Konzeption und Realität“ in dem steht „Die Familie soll für Eltern und deren Kinder den Raum bieten, in dem sie in besonders engen und vertrauten Beziehungen sozialen Zusammenhalt und persönliche emotionale Zuwendung erfahren können. Nirgendwo anders in der Gesellschaft findet sich die besondere Art der intimen, sehr persönlichen sozialen Beziehungen zwischen Partnern sowie Eltern und Kindern; und das hohe Maß der Bereitschaft, sich ohne Wenn und Aber gegenseitig zu unterstützen.“

Deutschland ist ein christlich geprägtes Land und auch hier zeigt sich deutlich, dass eine Abkehr von der Familie fundamentale Auswirkungen haben kann. So sagt der Theologe Jochen Sautermeister bei der Familien-Themenwoche zur Bedeutung der Familie aus christlicher Sicht 2015 „Familie ist der Ort, wo die Hoffnung sichtbar wird, dass es wert ist, zu leben und Leben zu schenken, dass es wert ist, Verantwortung und Sorge für die nachkommende Generation zu übernehmen, der man sich nicht so einfach entziehen kann, aber eben auch für die vorhergehende Generation, wenn sie alt, gebrechlich und pflegebedürftig wird. Mit der Familie verbinden Menschen ihre Sehnsucht nach Sinn, nach der Erfahrung von Vertrauen und bedingungslosem Angenommen-Sein – auch und gerade angesichts eigener Begrenztheiten und Defizite – und von Liebe-Schenken und Liebe-Weitergeben nicht nur in den Hoch-Zeiten, sondern auch im Alltag des Lebens.“

Und es stimmt: viele Sehnsüchte richten sich auf eine intakte, harmonische Familie, die der Welt gemeinsam trotzt. Die ein sicherer Ort ist in dem einem mit Liebe und bindungsloser Wertschätzung begegnet wird.

Dem gegenüberstehen eine Million Kinder und Jugendliche in Deutschland die jährlich sexualisierte Gewalt erleben müssen (WHO). Ein Großteil von ihnen in Familien.

Diese Kinder und Jugendlichen leben aber nicht abgekapselt von der Gesellschaft. Sie sind ein Teil unserer Gemeinschaft. Sie gehen in KiTas, in Schulen, in Sportvereine und sind uns bisweilen sogar aus der Kinder- und Jugendhilfe bereits als Betroffene bekannt.

In dem Vortrag soll auf die gesellschaftlichen und persönlichen Auswirkungen unserer eigenen Hoffnungen, Sehnsüchte und Wünsche in Bezug auf eine „heile Familie“ geschaut werden und darauf wie genau diese oft dafür sorgen, dass wir betroffenen Kindern und Jugendlichen nicht die Hilfe zukommen lassen, die sie bräuchten.

Tamara Luding ist unter anderem Mitarbeiterin der Bundeskoordinierungsstelle spezialisierter Fachberatung zum Thema sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend (BKSF) und Mitglied im Betroffenenrat bei der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM).

13.00 Uhr Diskussion zum Fachvortrag 2

13.30 Uhr Mittagspause mit Buffet

14.30 Uhr Workshops

1. Thema: „Häusliche Gewalt in Kindertagesstätten“ – Referentin: Henrike Krüsmann

Um Kinder gegen häusliche Gewalt zu stärken, wurde das Präventionsprojekt „PiKiTA“ entwickelt, welches seit vielen Jahren in Kindertagesstätten in Berlin umgesetzt wird.

Das Projekt richtet sich sowohl an Erzieher*innen in Kindertagesstätten als auch an Kinder, insbesondere im Vorschulalter.

Erzieher*innen werden mit dem Projekt für die Thematik sensibilisiert und in ihre Handlungskompetenz gestärkt. In einer Fortbildung für Erzieher*innen werden sowohl grundlegende Fakten zu häuslicher Gewalt vermittelt, wie z.B. Definition und Formen, Ausmaß, Signalen und Dynamik. Zum anderen wird auf die Situation von Kindern eingegangen und mögliche Auswirkungen auf Kinder thematisiert. Kinder, die häusliche Gewalt miterleben, leiden oftmals unter Schuld- und Schamgefühlen sowie unter Loyalitätskonflikten, sie fühlen sich hilflos und ohnmächtig, müssen über das Erlebte schweigen und das Familiengeheimnis aufrechterhalten. Zudem fehlen ihnen oftmals auch die Worte und die Einordnung des Erlebten.

Erzieher*innen werden durch die Fortbildung ermutigt und befähigt, das Thema der häuslichen Gewalt gegenüber Eltern und Kindern sensibel anzusprechen und sie lernen Hilfe- und Unterstützungsmöglichkeiten kennen.

Im Mittelpunkt des Projektes und des Workshops des Fachtages steht die präventive Arbeit mit Kindern. Kinder sollen gegen Gewalt im Allgemeinen und gegen häusliche Gewalt im Besonderen gestärkt werden. Dazu wurden verschiedenen Module entwickelt:

1. Gemeinsamkeiten und Unterschiede machen stark

Kinder sollen wertschätzend Gemeinsamkeiten und Unterschiede erkennen und anerkennen. Kinder nehmen sich selbst und andere Kinder als unverwechselbare Persönlichkeit wahr und werden sich ihrer Individualität als Stärke bewusst.

2. Wahrnehmen von und Umgang mit eigenen und fremden Gefühlen

Das Wahrnehmen und Zeigen der eigenen Gefühle sowie das Erkennen der Gefühle des Gegenübers hat in der Präventionsarbeit gegen Gewalt einen besonderen Stellenwert. Gefühle wie Wut, Angst, Hilflosigkeit, Trauer werden thematisiert. So wird z.B. Angst von Kindern oft mit `Feige sein` oder `Schwach sein` gleichgesetzt, dabei hat Angst viele positive Aspekte, u.a. kann Angst auch schützen.

3. Gute und schlechte Geheimnisse

Häusliche Gewalt ist nach wie vor ein tabu- und schambesetztes Thema. In vielen Familien wird Gewalt als eine Familienangelegenheit behandelt, welche nicht nach außen dringen darf. Kinder lernen zwischen guten und schlechten Geheimnissen zu unterscheiden und werden darin bestärkt, dass sie `Geheimisse`, die sie belasten und ihnen Angst machen weitererzählen dürfen und sich Hilfe holen dürfen. Hilfe holen ist nicht petzen!

4. Dürfen Kinder `Nein` sagen?

Kinder haben eine Recht auf Selbstbestimmung. Dazu zählt auch, dass sie das Recht haben in bestimmten Situationen `Nein` zu sagen. Das bedeutet, die eigenen Grenzen und die Grenzen anderer zu erkennen und zu akzeptieren sowie Hilfe einzufordern.

5. Hilfe holen, helfen und helfen lassen

Kinder im Vorschulalter haben das Bestreben möglichst viele Dinge und Situationen alleine zu meistern. Dieser Wunsch ist einerseits zu fördern, andererseits sind Kinder darin zu bestärken in schwierigen Situationen Hilfe einzufordern.

6. Konflikte gut lösen

Streiten ist okay und gehört zum Zusammenleben von Menschen dazu. Doch wo hört Streit auf und wo beginnt Gewalt? Wie können Kinder fair und konstruktiv mit herausfordernden Situationen umgehen? Anhand von Beispielen setzen sich Kinder spielerisch mit diesem Thema auseinander.

In allen Modulen geht es auch darum, Kindern Worte für Situationen zu geben, in denen sie sich unsicher und unwohl fühlen. Kinder werden ermutigt, sich an Erwachsene, insbesondere in der Kita zu wenden und Hilfe einzufordern. Dazu braucht es Erzieher*innen, die Anzeichen und Signale wahrnehmen und im Sinne des Kinderschutzes handeln!

Im Workshop werden die beschriebenen Module inhaltlich vorgestellt und Übungen für die Arbeit mit Kindern beispielhaft erprobt. Möglichkeiten der kindgerechten Kommunikation über das Thema häusliche Gewalt werden erarbeitet.

Henrike Krüsmann (MA Soziale Arbeit, Schwerpunkt Familie) ist bei BIG e. V. (Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen) tätig als Koordinatorin für den Bereich Kinder und Jugendliche bei Häuslicher Gewalt sowie den Bereich Täterorientierte Intervention. Von 2020-2022 wurde sie als externe Sachverständige in die Enquetekommission des Landtages Niedersachsen zur Verbesserung des Kinderschutzes und zur Verhinderung von Missbrauch und sexueller Gewalt an Kindern berufen.

2. Thema: „Arbeit mit Kindern und Jugendlichen am Interventionszentrum gegen Häusliche Gewalt Südpfalz in Landau“ – Referentin: Franziska Schindel

Das InterventionsZentrum gegen häusliche Gewalt Südpfalz arbeitet seit vielen Jahren im Bereich häuslicher Gewalt. In den meisten Fällen sind Kinder mitbetroffen. Die Auswirkungen der miterlebten Gewalt auf Kinder sind bereits in der Fachwelt hinreichend dokumentiert und zeigen die schwerwiegenden Folgen. Häusliche Gewalt stellt somit eine Kindeswohlgefährdung dar. Seit 2013 wird in Kooperation mit dem Jugendamt Germersheim das Konzept „Arbeit mit gewaltbelasteten Familiensystemen“ angeboten und umgesetzt. Das Angebot des Fachbereichs „Arbeit mit gewaltbelasteten Familiensystemen“ richtet sich an Kinder und Jugendliche, die von häuslicher Gewalt zwischen den Eltern betroffen sind. Das Miterleben von Gewalt zwischen den Eltern hat Auswirkungen auf die Entwicklung und führt zu sozialen, kognitiven und emotionalen Defiziten. Unsere Begleitung hat in erster Linie das Ziel, die betroffenen Kinder und Jugendliche psychisch zu stabilisieren und zu entlasten. Die Kinder und Jugendlichen werden in diesem Rahmen im Einzel- sowie Gruppensetting betreut.

Neben der Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen bietet der Fachbereich ebenfalls die Arbeit mit den Eltern an. Die gezielte Elternarbeit soll eine Sensibilisierung der Eltern gegenüber der Gewaltthematik, des eigenen Konfliktverhaltens und die dementsprechenden Auswirkungen auf die Kinder erreichen. Darüber hinaus wird mit den Eltern an Kommunikationsmöglichkeiten mit dem anderen Elternteil gearbeitet, um weitere Konfliktsituationen zu reduzieren und langfristig gänzlich vermeiden zu können.

Über die Jahre hat sich der Fachbereich fest in die Arbeit des Interventions – Zentrums gegen häusliche Gewalt Südpfalz und das Netzwerk des Landkreises Germersheim integriert. Ab dem Jahr 2019 wurde der Fachbereich um ein Gruppenangebot für die betroffenen Kinder und Jugendliche im Landkreis Südliche Weinstraße, welches in Kooperation mit dem Jugendamt Südliche Weinstraße, erweitert.

Im Workshop soll mit den Teilnehmenden erarbeitet werden, was Kinder und Jugendliche, die von häuslicher Gewalt zwischen den Eltern betroffen sind, benötigen, um das Erlebte besser verarbeiten zu können. Des Weiteren liegt ein Fokus darauf, wie es den betroffenen Kindern und Jugendlichen während der miterlebten häuslichen Gewalt und bei einer Trennung der Eltern geht. Zusätzlich soll mit den Teilnehmenden des Workshops erarbeitet werden, wie Fachkräfte auf die Kinder und Jugendlichen eingehen können, um diese bestmöglich zu unterstützen.

Franziska Schindel ist Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin (B.A.) und hat eine Zusatzweiterbildung zur Systemischen Beraterin (DGSF) absolviert. Sie ist im InterventionsZentrum gegen häusliche Gewalt Südpfalz e.V. für den Fachbereich „Arbeit mit gewaltbelasteten Familiensystemen“ zuständig. Dort betreut sie Kinder und Jugendliche, die von der häuslichen Gewalt zwischen den Eltern betroffen sind im Einzel- und Gruppensetting. Zu ihrem Tätigkeitsbereich gehört auch die Elternarbeit.

3. Thema: „Sexualisierte Gewalt unter Geschwistern“ – Referentin: Tamara Luding

Sexualisierte Gewalt durch Geschwister ist eine häufige Form von sexualisierter Gewalt in Familien und sie bringt das Hilfesystem immer wieder an seine Grenzen. Was muss zuerst passieren? Wer braucht zuerst Hilfe und Unterstützung? Und wäre es nicht wichtig, dass am Ende wieder alle als Familie zusammenleben können?

Um diese Form der Gewalt zu verstehen, muss man eintauchen in Familienstrukturen und -dynamiken. In diesem Workshop werden wir anhand eines Fallbeispiels die Strukturen und Dynamiken einer Familie betrachten, in der es zu sexualisierter Gewalt durch den älteren Bruder gekommen ist. Wir werden hemmende und hilfreiche Faktoren betrachten und aus unseren jeweiligen Rollen heraus überlegen, wie wir unterstützen könnten.

Tamara Luding ist unter anderem Mitarbeiterin der Bundeskoordinierungsstelle spezialisierter Fachberatung zum Thema sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend (BKSF) und Mitglied im Betroffenenrat bei der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM).

4. Thema: „Ein Problem der Anderen?! Welche Rolle Vielfalt im Kinderschutz spielt“ – Referentin: Melike Çınar

Vielfalt ist und war schon immer gesellschaftliche Realität. Die Tätigkeit der Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe zielt auf die Verwirklichung des Persönlichkeitsrechts des Kindes ab. Dies geht in vielen Bereichen nur mit den Eltern: Werden die Eltern nicht gewonnen, geht das zu Lasten der Kinder. Vielfach erleben Fachkräfte in der Zusammenarbeit mit Familien viele Herausforderungen.

Familien sind so verschieden, wie die Menschen, die in ihnen leben. Sie leben in kinderreichen Haushalten oder mit nur einem Kind, verdienen viel Geld oder wenig, erleben Behinderung oder nicht, bilden Regenbogenfamilien, Patchworkkonstellationen, glauben an unterschiedliche Dinge und erklären sich ihren Alltag auf vielfältige Weise.

In der Praxis des Kinderschutzes, aber auch in allen Feldern der Zusammenarbeit mit Familien, begegnen uns viele unterschiedliche Lebensentwürfe, Familienformen und Lebenswelten. Für Fachkräfte steht das Kindeswohl im Mittelpunkt – aber was bedeutet das konkret? Wie gehen wir mit Verschiedenheit um? Welche Konzepte des Kinderschutzes sind für uns leitend? Und wie können wir Vielfalt immer wieder als Schatz erleben?

Um möglichst allen Kindern und ihren Familien gerecht werden zu können, ist es von immenser Wichtigkeit, dass wir unseren eigenen Voreingenommenheiten begegnen und sie reflektieren lernen. Welche Bilder von Fremdheit habe ich? Und wie kann ich meinen Blick schärfen, um nicht vorschnell zu urteilen oder aber Wichtiges zu übersehen? Und wie gehe ich damit um, wenn mir Lebensweisen vollkommen unbekannt erscheinen?

In einem Mix aus Input, Gruppenarbeit und Dialog wollen wir uns diesen und anderen Fragen widmen und die Ergebnisse in die eigene berufliche Praxis übertragen. Dabei sind die Expertisen der Teilnehmenden wertvoll und fließen mit ein. Die Teilnehmenden lernen einander kennen und werden zur Vernetzung angeregt.

Melike B. Çınar ist seit über 10 Jahren in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Fachkräften der frühen Bildung tätig. Sie ist politische Erwachsenenbildnerin und widmet sich stets den Schwerpunkten Antidiskriminierung und Demokratiebildung.

15.30 Uhr Auswertung der Workshops

16.15 Uhr Schluss

Mittwoch, 21.02.2024

09.00 Uhr 1. Fachvortrag Thema: „Elterntraining in Fällen von Kindesmisshandlung – Möglichkeiten und Grenzen“ – Referent: Roland Hertel

Jedes Kind hat ein Recht darauf, ohne Gewalt groß zu werden. Dies haben fast alle Staaten der Erde mit der UN-Konvention über die Rechte des Kindes anerkannt. Und doch werden unzählige Kinder heutzutage noch immer geschlagen, niedergebrüllt, vernachlässigt und erniedrigt – sei es aus Gleichgültigkeit, Unwissenheit oder Überforderung.

Gewalt gegen Kinder hat viele Gesichter. Anders als vielfach angenommen, wird sie häufig gerade durch diejenigen ausgeübt, die den Kindern am nächsten sind – ihre Eltern, Erziehende oder andere Bezugspersonen. Beispiele gibt es leider viele – seien es Schläge, eine Ohrfeige oder regelmäßige Demütigungen durch Sätze wie “Du schaffst das sowieso nicht”. Aber Gewalt ist auch, wenn ein Kind ständig stundenlang sich selbst überlassen wird. Und wenn ein Kind körperlich oder emotional nicht ausreichend versorgt wird oder es verwahrlost in die Schule kommt. Jegliche Handlungen, die einem Kind Schaden zufügen oder ihm schaden könnten, gehören dazu – und auch das Unterlassen essentieller Handlungen. Dabei spielt es für das Kind keine Rolle, ob diejenigen, die die Gewalt ausüben, ungewollt oder bewusst handeln. Wenn Gewalt gegen Kinder durch Menschen ausgeübt wird, die eigentlich für ihren Schutz verantwortlich sind, wird dies als Misshandlung (“maltreatment”) bezeichnet. Unterschieden wird dabei zwischen körperlicher Misshandlung, sexualisierter Gewalt, psychischer bzw. emotionaler Misshandlung und Vernachlässigung. Die verschiedenen Formen von Gewalt lassen sich nicht immer eindeutig voneinander abgrenzen – häufig treten sie gemeinsam auf. Psychische Misshandlung: Erniedrigungen durch Worte, Diskriminierung, Anschreien, Liebesentzug bis hin zu Bedrohungen und offener Verachtung. Körperliche Misshandlung: Physische Gewalt gegen Kinder, wie beispielsweise das Schlagen mit Händen und Gegenständen sowie Schütteln, Beißen, Verbrühen und Vergiften. Sexualisierte Gewalt: Jede sexuelle Handlung an und mit Kindern, die gegen deren Willen geschieht oder der sie aufgrund körperlicher, seelischer, geistiger oder sprachlicher Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen können. Vernachlässigung: Das Versagen, einem Kind grundlegende körperliche und emotionale Bedürfnisse im Bereich der Gesundheit, Bildung, emotionalen Entwicklung, Ernährung, Unterbringung und nach einem sicheren Lebensumfeld zu erfüllen.

Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass weltweit jedes Jahr eine Milliarde Kinder und Jugendliche zwischen zwei und 17 Jahren von physischer, sexualisierter oder psychischer Gewalt betroffen sind.

Und eine UNICEF-Studie aus dem Jahr 2017 zeigt, dass weltweit drei von vier Kindern zwischen zwei und vier Jahren körperliche oder psychische Gewalt durch ihre Eltern oder andere Erziehende erfahren.

Auch in Deutschland sind die Zahlen erschreckend. In einer Untersuchung aus dem Jahr 2017 berichteten etwa 31 Prozent der Befragten, dass sie eine Form von Misshandlung mit mindestens moderatem Schweregrad erfahren hatten.

Dieser komplexen Problematik soll mit dem Training für Eltern und anschließend im Familiensystem begegnet werden.

*Quelle: (Unicef – https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/gewalt-gegen-kinder-beenden.

Roland Hertel ist Dipl.-Sozialarbeiter (FH), staatlich anerkannter Jugend- und Heimerzieher, Vorstandsvorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt (BAG TÄHG e.V.) bis November 2023. Für Jahrzehnte war er Mitglied in der Bund-Länder-AG „Häusliche Gewalt“ und entwickelte den Standard zur Arbeit mit Tätern häuslicher Gewalt mit. Er ist Leiter des Bereiches Öffentlichkeitsarbeit und Fortbildung im Interventionszentrum gegen häusliche Gewalt Südpfalz sowie Beiratsmitglied im bundesweiten Hilfetelefon – Schutz und Hilfe bei häuslicher Gewalt. Bis Dezember 2023 war er Mitglied des Kuratoriums „Stiftung Rheinland-Pfalz“ für Opferschutz. Seit April 2023 arbeitet er im „Elterntraining bei Kindesmisshandlung“.

10.00 Uhr Diskussion zum Fachvortrag 1

10.30 Uhr Pause

10.45 Uhr 2. Fachvortrag Thema: „Täterarbeit als Intervention bei Häuslicher Gewalt in Sachsen-Anhalt“ – Referent: Max Lindner

Täterarbeit bezeichnet die Arbeit mit gewaltausübenden Menschen im Bereich der häuslichen Gewalt mit dem Kernziel, Gewalt zu beenden und erneute Gewaltausübungen zu verhindern.

Zielgruppe sind Menschen, die in ihrer aktuellen oder ehemaligen Partnerschaft Gewalt ausüben, ausgeübt haben oder befürchten, in Zukunft Gewalt auszuüben. Die Zugangswege in die Beratung sind vielfältig. Neben justiziellen Weisungen oder Empfehlungen durch andere Behörden oder Institutionen können Menschen auch aus Eigeninitiative an einem Beratungsprogramm teilnehmen. Aufgenommen werden können Menschen, die ihre Tat eingestehen und ein Mindestmaß an Mitarbeitsbereitschaft zeigen.

Das Angebot der Fachstelle Täterarbeit in Fällen von häuslicher Gewalt LSA richtet sich an Männer und männliche Heranwachsende, die psychische oder physische Gewalt gegen ihre (Ex)Partnerinnen ausgeübt haben und die Konflikte in der Partnerschaft zukünftig gewaltfrei lösen wollen. Angeboten wird, neben einer ersten Beratung, ein fortlaufendes Gruppenangebot. Dieses umfasst mindestens 25 Termine sowie ggf. Einzeltermine im Krisenfall und richtet sich nach dem Standard der Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit. In Sachsen-Anhalt gibt es an drei Standorten – Magdeburg, Halle und Dessau – ein Angebot der Fachstelle. Das Angebot ist nicht Wohnortsbezogen und kann von allen Männern aus Sachsen-Anhalt, auch anonym, in Anspruch genommen werden.

Täterarbeit ist Opferschutz. Sie kann nicht isoliert stattfinden. Folglich ist die Einbindung der Täterarbeit in die Opferschutzstrukturen in Sachsen-Anhalt ein elementarer Teil der Arbeit.

Max Lindner ist Sozialpädagoge (B.A.), Systemischer Anti-Gewalt-Trainer (SAGT) und Systemischer Coach. Er leitet die ProMann-Beratungsstelle des Deutschen Familienverbands Sachsen-Anhalt e.V. in Magdeburg und ist Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt e.V. (BAG TÄHG e.V.).

11.45 Uhr Diskussion zum Fachvortrag 2

12.15 Uhr Mittagspause mit Buffet

13.15 Uhr Workshops

1. Thema: „Vorstellung des Gewaltschutznetzes in Sachsen-Anhalt“ – Referentinnen: Anja Benecke/Mirjam Hännsgen

In Sachsen-Anhalt existiert ein Hilfesystem gegen Gewalt an Frauen, das verschiedene Beratungs- und Unterstützungsangebote für Betroffene vorhält.

Die Landeskoordinierungsstelle LIKO koordiniert das Hilfenetzwerk, die zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteure in Umsetzung der Istanbul-Konvention, in Sachsen-Anhalt. Ziel ihrer Arbeit ist die Effektivierung und bedarfsgerechte Abstimmung sowie qualitative Weiterentwicklung der durch das Gleichstellungsministerium geförderten Projektangebote für gewaltbetroffene Frauen und Mädchen.

Fachberatungsstellen bei häuslicher Gewalt und Stalking (Interventionsstellen)

• kostenfreie und vertrauliche Beratung für alle Menschen ab 18 Jahren

• Proaktiv: Nach einem Polizeieinsatz oder einer Anzeige, wird Kontakt zu den Betroffenen aufgenommen, wenn das Einverständnis der Betroffenen vorliegt.

• Selbstmeldungen sind ebenfalls möglich, Auch für Verwandte oder Freund*innen.

• Gefährdungsanalyse für die aktuelle Situation

• Informationen zu rechtlichen Möglichkeiten

• Beratung auf Grundlage des Gewaltschutzgesetzes, Informationen zu weiterführenden Hilfsangeboten vor Ort

• bei Bedarf Begleitung zu Gericht in Gewaltschutzsachen oder zur Polizei zur Anzeigenerstattung oder Aussage

Frauenhäuser

• Schutzhäuser, die Frauen und Müttern mit ihren Kindern kurz- oder längerfristig Unterkunft gewähren, wenn sie von physischer, psychischer und/oder sexueller Gewalt sowie Stalking betroffen sind.

• 24-stündige Rufbereitschaft an 365 Tagen im Jahr

• Aufnahme von Frauen mit bestimmten körperlichen Beeinträchtigungen in Ballenstedt, Magdeburg, Wolmirstedt und Zeitz

• psychosoziale und sozialpädagogische Beratung (in Einzel- und Gruppenkonstellationen)

• Beratung, Unterstützung und Vermittlung gemäß Gewaltschutzgesetz

• psychologische Gespräche (Modellprojekt Mobile Teams)

Ambulante Frauenberatungsstellen

• Beratung, Begleitung und Unterstützung für Frauen in Not

• Informationen und Beratung auch für Fachkräfte und familiäre Bezugspersonen

• Beratung bei häuslicher Gewalt für Frauen und Mädchen mit Beeinträchtigung in Magdeburg

Fachberatungsstellen für Betroffene sexueller Gewalt

• Beratung und Begleitung von Betroffenen, deren Angehörige und Bezugspersonen sowie Fachkräften

• Unterstützung und Begleitung bei der Bewältigung des Erlebten sowie vor, während und nach Strafverfahren

• Suche nach geeigneter Psychotherapie

Fachberatungsstelle Vera – Hilfe bei Frauenhandel und Zwangsprostitution sowie Zwangsverheiratung und ehrbezogener Gewalt

• Beratung, Begleitung und Unterstützung für Mädchen* und Frauen*, die von Frauenhandel und Zwangsverheiratung betroffen sind.

• Sachsenanhaltweite Beratungen: mobil, anonym, kostenfrei und vertraulich

• Beratung von Mitarbeitenden in Beratungsstellen sowie anderen Einrichtungen in Fällen von Frauenhandel und Zwangsverheiratung

• psychosoziale Beratung, Begleitung und Krisenintervention

• Unterstützung bei der Klärung von aufenthalts- und sozialrechtlichen Fragestellungen

• Beratung und Begleitung im Anonymisierungsprozess

• anonyme Schutzwohnungen für hochgefährdete von Zwangsverheiratung und ehrbezogener Gewalt betroffene Frauen* und Paare mit Kindern

• Prävention und Bildung: Schulungen für Fachkräfte und Interessierte sowie Projekttage für Jugendliche

Frauenzentren

• Bildung- und Begegnungsstätten für Frauen und Mädchen in allen Lebenslagen

• geschlechtsspezifische, offene und präventive Angebote

• aktivierende Hilfe zur Selbsthilfe

Fachstelle Täterarbeit in Fällen von häuslicher Gewalt

• Angebot für Männer und männliche Heranwachsende, die psychische oder physische Gewalt gegen ihre (Ex)Partnerinnen ausgeübt haben und die Konflikte in der Partnerschaft zukünftig gewaltfrei lösen wollen.

• Erstberatung mit anschließenden Gruppenangebot: mindestens 25 Termine sowie ggf. Einzeltermine im Krisenfall (Standard der Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit)

Weitere Informationen und alle Kontaktdaten der Beratungsstellen finden Sie unter:

www.gewaltfreies-sachsen-anhalt.de

2. Thema: „Präventionsprojekt für Grundschulen ab Klasse 4 und Gewalt in Teenagerbeziehungen“ – Referentin: Henrike Krüsmann

Im Workshop wird das Präventionsprojekt für Grundschulen ab Klasse 4 vorgestellt, welches seit mehr als 15 Jahren von BIG e.V. in Schulen durchgeführt wird. Mit dem Projekt wird das Thema “Häusliche Gewalt” in den Fokus gerückt und Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit geben, sich frühzeitig mit diesem sensiblen Thema auseinanderzusetzen. Das Projekt findet an 4 Projekttagen in den Klassen statt. Durch altersgerechte Methoden und Materialien werden die Schülerinnen und Schüler behutsam an das Thema herangeführt. Im Workshop wird ein Einblick in die Inhalte und Methoden gegeben.

Am 1. Projekttag geht es um das Thema “Gefühle“, unter dem Thema „Alle unsere Gefühle sind wichtig!“ Hier wird insbesondere auf die Gefühle Wut und Angst eingegangen sowie Möglichkeiten des Umgangs mit diesen Gefühlen erprobt.

Der 2. Projekttag widmet sich der Unterscheidung von „Streit und Gewalt“. Anhand von Fallbeispielen schätzen Schüler*innen verschiedene Situationen nach dem Ampelsystem ein. Eine Definition von Gewalt wird erarbeitet und Ideen zur Verhinderung von Gewalt zusammengetragen.

Das Thema „Häusliche Gewalt“ steht im Mittelpunkt des 3. Projekttages. Dazu wird mit den Kindern der Animationsfilm „Kennt Ihr das auch?“ von BIG e.V. angesehen. Es werden die Hilfe- und Unterstützungsmöglichkeiten zusammengetragen und vorgestellt. Der Anruf beim Berliner Kindernotdienst, in dem die Kinder Fragen zur Arbeit des Kindernotdienstes stellen können, rundet diesen Tag ab.

Den Abschluss der Projekttage bilden die Kinderrechte sowie die Stärkung der Ressourcen und des Selbstwertes.

Um Kinder vor häuslicher Gewalt zu schützen und ihnen die Möglichkeiten zu geben, sich Hilfe zu holen braucht es kompetente und sensible Erwachsene. Daher findet vor den Projekttagen mit den Kindern eine Fortbildung für die Lehrkräfte und Schulsozialarbeit statt, um sie für das Thema zu sensibilisieren und in ihrer Handlungskompetenz zu stärken.

Im 2. Teil des Workshops steht das Thema Prävention von Gewalt in Teenagerbeziehungen mit dem Titel “Gute Liebe – schlechte Liebe” im Fokus. Ergebnisse von Studien zeigen, dass Kinder und Jugendliche, die Gewalt zwischen den Eltern miterleben, ein erhöhtes Risiko haben, in der eigenen Beziehung ebenfalls Häusliche Gewalt zu erleben oder einzusetzen. In den beiden Projekttagen, die sich an Schüler*innen ab der 9. Klasse richten, geht es darum, dass Jugendliche sich mit Formen, Signalen und Anzeichen von Gewalt in Teenagerbeziehungen auseinandersetzen. Dazu werden verschiedene Übungen durchgeführt, in denen die Jugendliche sensibilisiert werden. Wenn Jugendliche sich Hilfe- und Unterstützung suchen, dann tun sie das vorrangig innerhalb der Peergroup. Daher ist es wichtig, dass alle Jugendliche Kenntnisse über Hilfe- und Unterstützungsmöglichkeiten haben und so frühzeitig und angemessen darauf reagieren können.

Henrike Krüsmann (MA Soziale Arbeit, Schwerpunkt Familie) ist bei BIG e. V. (Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen) tätig als Koordinatorin für den Bereich Kinder und Jugendliche bei Häuslicher Gewalt sowie den Bereich Täterorientierte Intervention. Von 2020-2022 wurde sie als externe Sachverständige in die Enquetekommission des Landtages Niedersachsen zur Verbesserung des Kinderschutzes und zur Verhinderung von Missbrauch und sexueller Gewalt an Kindern berufen.

3. Thema: „Training für gewaltausübende Männer mit kognitiven Einschränkungen“ – Referentin: Simone Gierschner

Der dargestellte körperorientierte Ansatz soll als Ergänzung zu den verbal geführten Gesprächsrunden dienen, um den kognitiv und verbal eingeschränkten Teilnehmern einen besseren Zugang zum Thema zu ermöglichen. Die entstehenden Module sollen zum Ziel haben auf die sozialen Kompetenzen der Teilnehmer einzuwirken und den Teilnehmern die Möglichkeit bieten über Sport und Bewegung eine emotional – affektive Ausdrucksmöglichkeit zu finden. Mit Hilfe der motorischen Lernebene sollen die Teilnehmer mehr Selbstsicherheit im eigenen Handeln, in sozialen Situationen und in der Selbstregulation entwickeln. Erlebniszentrierte, übungszentrierte und konfliktzentrierte Gesprächsrunden und Körperübungen werden dabei miteinander verbunden. Körper- und Bewegungsübungen dienen als Medium und müssen vom Gruppenleiter in den entsprechenden Sinnzusammenhang (Thema, Ziel der Stunde) gebracht werden.

Ziele: Stärkung des Selbstvertrauens

Selbstwirksamkeit herstellen

Selbstregulation / Spannungsregulation über Sport

Stärkung des Selbstwertgefühls in anderen Lebensbereichen

Ressourcen aktivieren

Praxis: Geschlossene Gruppe

4 Teilnehmer

3 Gruppenleiter

Diplom-Sportwissenschaftlerin, Ergotherapeutin, Dipl.-Sozialarbeiter (FH)

Teilnehmer kennen sich durch den Arbeitsplatz und gemeinsames Wohnen

Zunächst 10 Einheiten (60 Min.) im 2wöchentlichen Rhythmus

Die Teilnehmer profitieren von einer starken Strukturierung der Einheiten. Rituale und wiederkehrende Inhalte geben den Teilnehmern Sicherheit und Kontrolle. In spielerischen Situationen findet eine Auseinandersetzung mit verschiedenen sozialen Situationen statt, um eine Handlungsfähigkeit bei den Teilnehmern herzustellen. Danach kommt es zu einer direkten Konfrontation des Teilnehmers mit der Konfliktsituation. In der Gruppe wird ein konkreter Notfallplan individuell für jeden Teilnehmer erarbeitet und geübt, der in zukünftigen herausfordernden Situationen angewandt werden soll.

Insgesamt zeigt sich eine hohe Erreichbarkeit der Teilnehmer über einen körperorientierten Ansatz. Nach 10 Einheiten konnten Fortschritte im Bereich Selbstregulation und Stärkung des Selbstwertes in anderen Lebensbereichen festgestellt werden. Für einen weiteren Aufbau von Handlungskompetenz und eine Übertragung des gelernten in unbekannte fordernde Situationen, muss jedoch von einem deutlich längeren Zeitraum ausgegangen werden.

Simone Gierschner ist Diplom-Sportwissenschaftlerin und arbeitet als Bewegungstherapeutin in einer Akutklinik für Psychiatrie. Freiberuflich arbeitet sie an Inklusionsprojekten mit. Aus einem dieser Projekte, dem BAG-Projekt Täterarbeit häusliche Gewalt für Männer mit Beeinträchtigungen, ist das Training entstanden, das Inhalt des Workshops sein wird.

4. Thema: „Kinder und Jugendliche im Umfeld von verschwörungsgläubigen Menschen“ – Referent: Oliver Müller

Die nach außen sichtbare Hinwendung zu Verschwörungsideologien stellt spätestens seit dem Anbeginn der weltweiten Corona-Pandemie im Jahr 2020 ein weithin wahrnehmbares gesellschaftliches Phänomen dar. Es gibt kaum eine Familie oder einen Bekanntenkreis, der nicht davon berichten kann, dass eine Person in ihrer unmittelbaren Nähe mittlerweile an Verschwörungserzählungen glaubt und diesen Glauben daran auch offen mit anderen teilt.

Die Hinwendung zum manifesten Glauben an die Existenz allumfassender Verschwörungen durch etwaige Eliten zum Nachteil der allgemeinen Bevölkerung geschieht dabei zwar in der Regel nicht im ideologisch luftleeren Raum, erzeugt in ihrer Vehemenz und Konsequenz für Betroffene jedoch oftmals hohen Leidensdruck. Die Verschwörungsnarrative werden schnell zu einer Art Allgemeinerklärung für all das, was grundsätzlich in der individuellen Weltwahrnehmung schiefläuft. In der gemeinsamen Alltagsaushandlung werden sie auf Seiten der Verschwörungsgläubigen nach und nach zur einzigen und alles durchdringenden Deutungsperspektive, die ihnen im Bedarfsfall auch noch gehörig Aufmerksamkeit verschafft. Mit dem Entgegenhalten von gesicherten Fakten ist dem oftmals nur noch graduell oder gar nicht mehr beizukommen. Dies kommt nicht von ungefähr, funktionieren die Verschwörungen für die Gläubigen selbst, als eine sehr wirksame Strategie zum Umgang mit persönlichen und gesellschaftlichen Krisenerfahrungen. Sie helfen dabei, bereits bestehende Ablehnungshaltungen in kurzer Zeit zu kontextualisieren und ermöglichen eine Art rhetorische Abwehrreaktion, bei der Verantwortung für eigenes Handeln konsequent abgegeben werden kann.

Verschwörungsgläubigkeit findet besonders oft in Phasen tiefgreifender gesellschaftlicher Transformationsprozesse Verbreitung und Anklang. Verschwörungserzählungen können dabei in Form eines Konsenses brechenden, heterodoxen Wissens als Radikalisierungsbeschleuniger und Brückenideologien in extremistische Weltanschauungen fungieren. Betreffende Personen können sich dabei mitunter immer weiter von den Grundsätzen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens entfremden, was nicht selten in eigen- und fremdgefährdendem Verhalten und Handeln mündet.

Kinder und Jugendliche stellen in diesem Zusammenhang besonders vulnerable Gruppen dar. Einerseits stellt die Omnipräsenz von Verschwörungsideologien vor allem im familiären Umfeld und in sozialen Medien eine ernstzunehmende Gefahr für eigene Identitätsbildungsprozesse dar. Andererseits können sie bei den Heranwachsenden oftmals schwer lösbare Loyalitätskonflikte zwischen Familie und Umfeld auslösen. Darüber hinaus sind Kinder und Jugendliche im sozialen Nahfeld von verschwörungsgläubigen Menschen nicht selten Hauptgegenstand und Mittelpunkt der ausgetragenen Konflikte. Hierbei geht es nicht selten neben möglicher Manipulation, Indoktrination und der Einschränkung von Partizipation und Selbstwirksamkeit auch um Fragen nach der körperlichen Unversehrtheit und der medizinischen Versorgung ebendieser. Die Hinwendung verschwörungsgläubiger Eltern zu alternativen Heilmethoden und sogenannten Supplementgaben stellen dabei neben dem Schulentzug, der Billigung von Körperstrafe und Züchtigung und der Ausübung seelischer Gewalt die hauptsächlichen Risiken für das jeweilige Kindeswohl dar.

Im Workshop sollen in einem konzentrierten Einstieg in die Merkmale, Hinwendungsprozesse und sozialpsychologischen Bedingtheiten von Verschwörungsgläubigkeit eingeführt werden. Anschließend soll anhand von anonymisierten Fallvignetten vor allem die Frage diskutiert werden, welche Auswirkungen diese konkret auf das familiäre Nah- und persönliche Umfeld haben können. Ein fachlicher Austausch darüber, welche möglichen Umgangsstrategien und Handlungsempfehlungen sich daraus ableiten, soll den Austausch abschließen.

Oliver Müller ist Projektleiter bei veritas ̶ Beratungsstelle für Betroffene von Verschwörungserzählungen.

14.15 Uhr Auswertung der Workshops

14.45 Uhr Pause

15.15 Uhr Podiumsdiskussion zur Auswertung des Fachtages

16.15 Uhr Fragen zur Podiumsdiskussion

16.45 Uhr Schluss

Als Rahmenprogramm wird die Ausstellung „Zerrissen – Kinder als Opfer häuslicher Gewalt“ des Landeskriminalamtes Sachsen-Anhalt während der Fachtagung präsentiert. Anja Salomon, Opferschutzbeauftragte in der Polizeiinspektion Halle (Saale) wird als Ansprechpartnerin vor Ort sein.

Anmeldung zum Fachtag Gewalt statt Liebe 2024

Zur Anmeldung bitte Workshop und Personenzahl angeben.